Das kann ich mir nicht alles ausdenken

Kreis-Anzeiger, Altenstadt 08.02.2017

LESUNG Die Autorin Dagmar Chidolue ist mit ihren Büchern seit Jahrzehnten nah dran am Lebensalltag junger Menschen

ALTENSTADT – (hp). Kinder und Jugendliche mit ihren Sorgen, Nöten und Träumen, die erste Liebe und pubertäres Machtgehabe – das sind die Themen, die Dagmar Chidolue in ihren Jugendbüchern aufgreift. Die preisgekrönte Autorin war jetzt zu Gast in der Limesschule in Altenstadt. Für ihre Lesung vor Schülern aller achten Klassen der Gesamtschule hatte sie Passagen aus drei ihrer Bücher ausgewählt: „Sugar“, „Flugzeiten“ und „Lady Punk“, für das sie 1986 den Deutschen Jugendliteraturpreis erhielt.

Dagmar Chidolues Geschichten sind nicht fiktiv, sondern beruhen auf wahren Begebenheiten. „Das kann ich mir nicht alles ausdenken“, sagt die Autorin im Gespräch. Sie verarbeitet das, was sie in Unterhaltungen mit ihren Kindern und deren Freunden erfahren hat oder Geschichten, die sie von Bekannten und im eigenen Freundeskreis hört. Auch Erlebnisse aus ihrer eigenen Schulzeit finden in den Büchern Platz. Dabei benutzt sie sogar die realen Namen der Protagonisten. „Probleme gab es damit noch nie“, sagt sie zu der Resonanz auf ihre Bücher.

Bekannt gemacht haben Dagmar Chidolue vor allen Dingen ihre Millie-Bücher. 27 Bände hat sie seit 1991 geschrieben: „Millie in Paris“, „Millie in Hollywood“, „Millie am Nordpol“, „Millie in Afrika“ … – Die ganze Welt hat die fünf Jahre alte Millie mit ihren Eltern und der kleinen Schwester Trudel schon bereist. Witzig und auf Augenhöhe erzählt Chidolue aus dem Leben einer Fünfjährigen und vermittelt den jungen Lesern beziehungsweise Zuhörern Eindrücke von der Welt.

Grundschüler, hat Chidolue bei ihren vielen Lesungen beobachtet, seien wesentlich mitteilsamer. Da werde bei den Lesungen immer viel erzählt. Von Jugendlichen erhalte sie hingegen eher Post. In Briefen und E-Mails schildern sie im Nachgang ihre Eindrücke von den Büchern, die die Autorin ihnen vorgestellt hat. „Sie erkennen sich in den Büchern oftmals wieder“, so die Autorin.

Dagmar Chidolue, Jahrgang 1944, könnte die Großmutter ihrer Zuhörer sein. Dennoch greift sie aktuelle Themen auf, die nah dran sind an dem, was die Jungen und Mädchen tagtäglich beim Erwachsenwerden in der Schulzeit, der Familie und ihrem Freundeskreis erleben. Es geht um Selbstbewusstsein, um die Liebe, um das Bemühen um Freundschaft und Anerkennung, um Lieblingslehrer und schwierige Lehrer, Sprachfehler, um Mobbing. Auch vor Misshandlungen in der Familie macht Chidolue nicht Halt. Wie bei Benno, genannt „Sugar“, der stottert, die achte Klasse wiederholt, vom Vater Prügel einsteckt und in Michelle verliebt ist. Um fast 80 Jahre dreht Chidolue die Zeit für ihr Buch „Flugzeit“ zurück, das 2007 erschienen ist. Darin erzählt sie die Geschichte ihres Vaters Bonna, der nur einen Traum hat: das Fliegen. In der Fliegerschar der Hitlerjugend geht Bonnas Traum in Erfüllung. Aus Bonnas Perspektive erfahren die Leser die Geschichte seiner Jugend von 1932 bis 1940, als große und kleine Verführer junge Menschen in den Bann des NS-Regimes zogen.

Vor rund 30 Jahren schrieb Chidolue „Lady Punk“. Der „Longseller“, wie sie das Buch selbst nennt, hat an Beliebtheit nichts eingebüßt. Der Verlag wollte eigentlich eine modernisierte Neuauflage. Die Mark in Euro umzuschreiben, wäre einfach gewesen, sagt die Autorin. „Doch es kommen auch Musikgruppen vor, die von den Akteuren im Buch gerne gehört werden, die es aber inzwischen nicht mehr gibt“. Da hätte sie dann andere Bands nehmen können, die in ein paar Jahren aber ebenfalls Vergangenheit wären. „Außerdem spielt die Geschichte im geteilten Berlin vor dem Mauerfall. Wie hätte ich das denn neu schreiben sollen? Also haben wir alles so belassen.“ So enthält die Neuauflage ein Vorwort, das auf die Unterschiede und die Veränderungen im politischen Geschehen hinweist. Die Geschichte von Terry dagegen ist zeitlos. „Die 15-Jährige sieht aus wie siebzehndreiviertel, ist ein Biest und ganz schön verrückt“, deshalb der Titel Lady Punk. Terry hat alles, was man sich mit Geld kaufen kann. Jetzt will sie wissen, was es mit der Liebe auf sich hat. Und sie will ihren amerikanischen Vater finden.

Schulleiterin Gaby Küster bedankte sich bei der Autorin für ihr Kommen und bei Lehrerin Tanja Schäfer-Auth, die als Fachsprecherin Deutsch die Veranstaltung organisiert hatte sowie beim Förderkreis der Gesamtschule für die finanzielle Unterstützung.